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Glitterhouse/Indigo
Die westdeutsche Stadt Solingen hat der Welt zwei Dinge
gebracht: Scharfe Klingen und die grossartige Punk-Pop-Band
S.Y.P.H. Mag sich der Bandname für Uneingeweihte nach Kotz-Siff-und
Bier-Punk anhören (die Initialien stehen angeblich für „Save
Your Pretty Hearts“), so verbirgt sich dahinter eine der
interessantesten deutschsprachigen Combos der letzten 25 Jahre.
Die Bedeutung der Band, deren frühe Hits „Zurück zum Beton“ oder
„Lachleute & Nettmenschen“ damals schnell zu beliebten
Graffitiparolen wurden, hat zuletzt Jürgen Teipel in seinem
„Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“ mit dem Titel
„Verschwende Deine Jugend“ herausgearbeitet. Das erste
S.Y.P.H.-Album von 1980 fand Einzug in die vom „Musikexpress“
initiierte Kritikerwahl der „100 besten deutschen Platten“, ihr
späteres Opus Magnum, „Wieleicht“, bezeichnete Kritikerpapst
Diedrich Diederichsen gar als „White Album“ der deutschen
Musikszene. Vielleicht ein bisschen hochgegriffen, war dieses
1985 entstandene, vom grösseren Publikum allerdings kaum
wahrgenommene Doppelalbum für die Fans deutschsprachiger Musik
gleichwohl eine echte Offenbarung. Erschienen zu einer Zeit, als
nach dem NDW-Overkill deutsch singen wieder komplett out war,
fand man hier deutschen Post-Wave mit Popmelodien gepaart, Can-eske
Rhythmen neben amüsanten Texten und rhythmischen Feinheiten mit
Tracks wie „Frühmorgens“, „Und so geht es“ oder der Hymne „Pamela“.
Allesamt auf diesem Best-Of-Doppelalbum enthalten, dessen Kern
eben gleich neun Songs von „Wieleicht“ ausmachen.
Zusammengestellt wurde diese Anthologie mit ihren 39 Songs,
darunter 7 unveröffentlichte, von den beiden S.Y.P.H.s Peter
Braatz alias Harry Rag und Bassist Jojo Wolter, die sich hier
mit dem US-Amerikaner Chris Eckman (bekannt als Kopf der
Walkabouts) zusammengetan haben. Dieser, fast unbeleckt von der
deutschen Sprache, hatte wiederum einen anderen Zugang zu den
Songs, was ja durchaus reizvoll sein kann. Herausgekommen ist
ein buntes Sammelsurium von frühen Punkklassikern wie dem schon
erwähnten „Zurück zum Beton“ oder den „Falschen Freunden“ bis
hin zu den Spätwerken, wo sich S.Y.P.H. als jüngere Geschwister
der deutschen Can zeigen, rhythmisch experimentieren, Dub und
Reggae verbraten, sich instrumental improvisierend austoben und
auch schon mal richtig loslärmen. Humor spielte bei S.Y.P.H.
immer eine grosse Rolle: der konnte ätzend, lustig oder einfach
nur albern sein, wie „Lametta“, „Mein Esel ist kaputt“ oder „Tausend
nackte Neger“ zeigen. „Ungehörsam“ ist eine wunderbare
Compilation dieser von Kritikern und den harten Fans geliebten,
von der breiten Öffentlichkeit leider nicht wahrgenommenen, für
den deutschen Rock/Pop aber sehr wichtigen Band. Kaufen!
5 Sterne Thomas Bohnet
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