Ungehörsam – Essential Recordings 1978-2003

 
Glitterhouse/Indigo

Die westdeutsche Stadt Solingen hat der Welt zwei Dinge gebracht: Scharfe Klingen und die grossartige Punk-Pop-Band S.Y.P.H. Mag sich der Bandname für Uneingeweihte nach Kotz-Siff-und Bier-Punk anhören (die Initialien stehen angeblich für „Save Your Pretty Hearts“), so verbirgt sich dahinter eine der interessantesten deutschsprachigen Combos der letzten 25 Jahre. Die Bedeutung der Band, deren frühe Hits „Zurück zum Beton“ oder „Lachleute & Nettmenschen“ damals schnell zu beliebten Graffitiparolen wurden, hat zuletzt Jürgen Teipel in seinem „Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“ mit dem Titel „Verschwende Deine Jugend“ herausgearbeitet. Das erste S.Y.P.H.-Album von 1980 fand Einzug in die vom „Musikexpress“ initiierte Kritikerwahl der „100 besten deutschen Platten“, ihr späteres Opus Magnum, „Wieleicht“, bezeichnete Kritikerpapst Diedrich Diederichsen gar als „White Album“ der deutschen Musikszene. Vielleicht ein bisschen hochgegriffen, war dieses 1985 entstandene, vom grösseren Publikum allerdings kaum wahrgenommene Doppelalbum für die Fans deutschsprachiger Musik gleichwohl eine echte Offenbarung. Erschienen zu einer Zeit, als nach dem NDW-Overkill deutsch singen wieder komplett out war, fand man hier deutschen Post-Wave mit Popmelodien gepaart, Can-eske Rhythmen neben amüsanten Texten und rhythmischen Feinheiten mit Tracks wie „Frühmorgens“, „Und so geht es“ oder der Hymne „Pamela“. Allesamt auf diesem Best-Of-Doppelalbum enthalten, dessen Kern eben gleich neun Songs von „Wieleicht“ ausmachen. Zusammengestellt wurde diese Anthologie mit ihren 39 Songs, darunter 7 unveröffentlichte, von den beiden S.Y.P.H.s Peter Braatz alias Harry Rag und Bassist Jojo Wolter, die sich hier mit dem US-Amerikaner Chris Eckman (bekannt als Kopf der Walkabouts) zusammengetan haben. Dieser, fast unbeleckt von der deutschen Sprache, hatte wiederum einen anderen Zugang zu den Songs, was ja durchaus reizvoll sein kann. Herausgekommen ist ein buntes Sammelsurium von frühen Punkklassikern wie dem schon erwähnten „Zurück zum Beton“ oder den „Falschen Freunden“ bis hin zu den Spätwerken, wo sich S.Y.P.H. als jüngere Geschwister der deutschen Can zeigen, rhythmisch experimentieren, Dub und Reggae verbraten, sich instrumental improvisierend austoben und auch schon mal richtig loslärmen. Humor spielte bei S.Y.P.H. immer eine grosse Rolle: der konnte ätzend, lustig oder einfach nur albern sein, wie „Lametta“, „Mein Esel ist kaputt“ oder „Tausend nackte Neger“ zeigen. „Ungehörsam“ ist eine wunderbare Compilation dieser von Kritikern und den harten Fans geliebten, von der breiten Öffentlichkeit leider nicht wahrgenommenen, für den deutschen Rock/Pop aber sehr wichtigen Band. Kaufen!

5 Sterne Thomas Bohnet